#SorgenvonMorgen 1: Alles nur Zaster?

Aus der Zwischenablage 2

Wird der einzige Gewinn von New Work ein Zuwachs von Profit für diejenigen sein, die jetzt schon viel Geld haben?

Man hört nicht selten die Sorge, das, was man Zukunft der Arbeit oder New Work nennt, könne sich ganz schnell als die nächste Runde im Optimierungswettlauf eines profitfixierten Globalkapitalismus erweisen. Der einzige Gewinn von New Work wäre dann der in den Taschen der Teilhaber großer Konzerne. Mehr Mitbestimmung, mehr Menschlichkeit, mehr Sinn? Pustekuchen! Bisher hat mich allerdings diese Sorge nicht besonders beunruhigt. Gerade auf lange Frist bin ich eher optimistisch veranlagt – und mit den fatalistischen Deutungen von Menschen, die so oft das Wort Kapitalismus in den Mund genommen und es so lange durchgekaut haben, dass sie Marktwirtschaft schon gar nicht mehr buchstabieren können, kann ich auch nicht viel anfangen.

Seit ich allerdings eine in mehrerlei Hinsicht vielsagende Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Unternehmensberatung Deloitte zum Thema New Work gelesen habe, denke ich etwas anders. Deloitte veröffentlicht seit einiger Zeit einmal jährlich eine recht umfangreiche Studie mit dem Titel Global Human Capital TrendsDie sieht – jedenfalls in diesem Jahr – nicht nur hübsch bonbonfarben aus und ist damit wohl zumindest optisch 100% Generation-Y-kompatibel, sondern enthält auch einige sehr interessante bis beunruhigende Informationen und Einschätzungen.

New Work ist in den Unternehmen angekommen

Ich fange mal mit dem Teil an, der mir überhaupt keine Sorgen, sondern vielmehr Hoffnung macht. Deloitte stellt fest, das unwahrscheinliche 92% (in Worten zweiundneunzig!) aller untersuchten Unternehmen weltweit gerade fleißig an ihren Strukturen basteln, oder sich dies für die nächste Zukunft vorgenommen haben. Und wie die umbauen! Die traditionelle Pyramidenhierarchie sei praktisch komplett von gestern, sagen die Berater der amerikanischen Gesellschaft mit französischem Namen. Stattdessen stärke man jetzt weltweit Teams zu Lasten des mittleren Managements. Die Bedeutung von Funktionen und statischen Zuständigkeiten nehme rasant ab zu Gunsten von temporären Engagements derjenigen, die für eine Aufgabe gerade kompetent sind. Die Verantwortung für das Erreichen von Organisationszielen wandere Stück für Stück von oben nach unten und vom Zentrum an die Ränder und überhaupt würden jetzt die Ziele immer seltener von oben vorgegeben.

Auch wenn man vorsichtig den für eine an Beratung gut verdienende Gesellschaft wahrscheinlichen Anteil an Übertreibung abzieht (‚Alles ändert sich rasant und nur wir wissen, wie ihr Schritt haltet!‘), bleibt trotzdem die interessante Erkenntnis: Wenn da auch nur halbwegs seriös gearbeitet wurde – und das darf man trotz aller Bonbonbilder vermuten – dann ist New Work bereits in den Unternehmen angekommen. Und zwar nicht nur als Gesprächsthema der HR-Abteilungen, sondern faktisch in den Organisationsstrukturen. Und das weltweit.

Teams ermächtigen? Ja. Verantwortung konsequent aufteilen? Jein.

Das ist doch mal eine erfreuliche Erkenntnis. Eigentlich. Nur was für eine Art von New Work ist das? Wieviel goldene Zukunft der Arbeit steckt in dieser Gegenwart wirklich schon drin? Nimmt man Deloitte beim Wort, steckt da zunächst mal ein guter Teil eher schmutziger Geschichte drin: Liest man nämlich das Kapitel über den Umbau der Organisationsstrukturen von Unternehmen kommt man nicht umhin, dass von den Autoren (bewusst?) ausgewählte Paradebeispiel der systematischen Umstrukturierung einer Großorganisation zu bemerken: Die Reorganisation des US-Militärs während des letzten Irak-Krieges durch den zuständigen General McChrystal. Der Kriegsverlauf sei nicht gut gewesen, kann man da lesen, bis McChrystal folgende revolutionäre Idee hatte und in die Tat umsetzte: „Decentralize authority to highly trained and empowered teams and develop a real-time information and operations group to centralize information and provide all teams with real-time, accurate data about war activities everywhere.“

Ab da, so die Autoren, lief es besser für das US-Militär. Den Rest der Geschichte kennen wir, bzw. ihre Bilder: George W. Bush auf dem Flugzeugträger, die umstürzende Statue von Saddam Hussein und und und. New Work als Gewinner des Irak-Krieges? New Work beim Militär, wo Befehl und Gehorsam herrschen? Die Parallelen zu selbstverwalteten Organisationen und mitarbeitergeführten Betrieben dürften sich hier eigentlich in Grenzen halten. Das Militär ist auch so recht keine türkisfarbene Organisation im Sinne Laloux‘, wo Sinn und Achtsamkeit walten. Wenn ich mich recht entsinne liegt es laut seiner Farbenlehre vielmehr im bernsteingelben Spektrum und ist ungefähr so modern wie die katholische Kirche.

Erläuterung: Der Ex-McKinsey-Berater Frédéric Laloux hat in seinem Buch ‚Reinventing Organizations‘ eine Fortschrittsskala von Paradigmen der sozialen und unternehmerischen Organisation aufgestellt, die er in Form einer Farbskala (von rot bis türkis) veranschaulicht. Türkis oder blau-grün steht hier für die fortschrittlichste Organisationsform, die Selbstorganisation, eine integrale Organisationskultur und nachhaltig sinnhafte Produktivität ermöglicht. Bernd Oestereich von next-u hat diese Farbskala auf der Basis des ursprünglichen Entwurfs ‚Spiral Dynamics‘ von Beck und Cowan in einem empfehlenswerten Artikel erläutert. Noch ein Hinweis: Ich bin eigentlich kein besonderer Freund esoterischer Weltanschauungen, auf denen diese Entwürfe basieren. Aber das Buch von Laloux und auch der zu Grunde liegende Entwurf von Beck und Cowan lohnen wahrlich die Auseinandersetzung mit ihren Thesen, Esoterik hin oder her!

Nun soll man sich nicht zu lange an Einzelbeispielen aufhalten. Nur: Irgendwie scheint das Exemplum vom durch New Work gewonnenen Irak-Krieg für die Deloitte-Studie programmatisch zu sein. Denn als nächstes erfahren wir, weltweit seien die Unternehmen derzeit auf der Suche nach neuen Führungskräften. Junge Leute müssten früher auf den Karrierepfad gesetzt werden, denn sie würden dringend gebraucht. Wie passt das mit der Ermächtigung von Teams zu Lasten der Konzernführung zusammen? Offenbar so: Die Berater von Deloitte stellen sich die weltweite Umstrukturierung von Unternehmen nicht etwa so vor, dass jetzt die Macht von der Konzernleitung an die Mitarbeiter übergeben würde. Vielmehr muss die Führung neue Wege finden, um unter erschwerten Bedingungen noch das Heft in der Hand zu behalten. Wo viele kleine Teams sind, werden da eben viele kleine Führer gebraucht.

Das heißt zwar auch, dass man dem ganz großen Kontrollwahn abschwört und vielleicht sogar die Dinge erstmal laufen lässt. Wenn man einen Krieg nicht gewinnen kann, solange die Generalität den Anspruch erhebt, ihn von vorne bis hinten zu planen und minutiös zu dirigieren, muss man eben die Methoden der Kriegsführung ändern. Aber diese Haltung des eiskalten Kriegers scheint laut Deloitte nicht nur für bewaffnete Konflikte, sondern ganz offensichtlich auch für den alltäglichen Kampf um Kunden und Profite im globalen Wettbewerb empfehlenswert zu sein.

Wenn man also – um auch mal einen lockeren Anglizismus zu benutzen – den ‚Spirit‘ betrachtet, aus dem diese Studie von Deloitte erwachsen ist, kann man da schon nicht mehr so viel Neues beobachten. Oder um es etwas spießiger auszudrücken: In punctis Unternehmenskultur und Ethik scheint sich da – wenn überhaupt – eher etwas zum Schlechteren verschoben zu haben. Solange die Berater immer noch (oder schon wieder?) mit Kriegsmetaphern hausieren gehen, ist mit Revolutionen in diesen Bereichen wohl nicht zu rechnen. Nicht mal mit Evolution.

Glaubt man Deloitte, sieht vieles an der Zukunft der Arbeit ziemlich altbekannt aus

Was verdeutlicht also diese neueste HR-Studie von Deloitte und was sagt das über unsere Sorge (Alles nur Zaster) aus? Die Mainstream-Beratung deutet die Veränderungen, die sich derzeit im Bereich Personal und Organisationsstruktur abspielen oder ankündigen vom alten Paradigma der an kurzfristigem Profit orientierten (oder sollte man sagen, profitfixierten?) Share-Holder-Value-Welt aus. Laloux würde wahrscheinlich sagen, sie schielen von orange nach türkis und verstehen nicht was sie sehen. Indes muss man vielleicht konstatieren: Was dem einen längst türkis erscheinen mag, ist in Wirklichkeit immer noch orange und wird auch noch lange orange bleiben.

Oder (für alle, die mit Laloux und seiner Farbskala überhaupt nichts anfangen können): Ganz offensichtlich greifen die Konzerne und mittelständischen Unternehmen rund um die Welt die überfälligen Veränderungen in Personalorganisation und Unternehmensstruktur auf und implementieren sie mindestens so weit, wie es eben nötig ist, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Aber vielleicht auch keinen Schritt weiter. Pustekuchen Unternehmensdemokratie. Pustekuchen sinnerfüllte Arbeit. Pustekuchen echte Augenhöhe.

Plackerei 4.0 oder echte Fortschritte? Von der Bio-Branche lernen!

Ja, es könnte sein: Vielleicht wird zumindest die nähere Zukunft der Arbeit für viele, vielleicht sogar für die Mehrheit nicht mehr als eine Art Plackerei 4.0, der nächste Schritt auf der Leiter Richtung quantitatives Wachstum, knallharten Wettbewerb und maximalen Profit. Aber vielleicht ist es auch eine falsche Hoffnung, wenn man erwartet, dass sich innerhalb kürzester Zeit nicht nur die technische Ausstattung von Unternehmen, sondern auch ihre Kultur grundlegend ändern werde. Jedenfalls nicht von allen zugleich.

Stattdessen kann man aber durchaus auf Folgendes hoffen: Dass sich in einem Teilbereich der Privat- und sicher auch der Sozialwirtschaft eine stabile und wachsende Gruppe von Organisationen etabliert, in denen Arbeit der Zukunft nicht nur das nächste Update einer Maschinerie der eher ziellos anmutenden Kapitalvermehrung bedeutet. Sondern ein echter Fortschritt und Unterschied zu dem was bisher war. Mit ganz viel Augenhöhe, Sinn und Mitbestimmung. Mit mehr Kreativität und Innovation. Und einer beachtlichen Produktivität, die sich ganz und gar nicht wie Plackerei anfühlt.

Jedenfalls wäre das ja nicht das erste Mal, dass sich aus einer alternativen Szene ein wohl etablierter, aber eben alles andere als normaler Wirtschaftszweig entwickelt, der in schönster Weise erblüht und grünt. Dazu muss man sich nur mal die Geschichte der Bio-Branche in Deutschland vor Augen führen. Da wird mittlerweile viel Geld verdient – aber deshalb ist dort noch lange nicht alles nur Zaster.

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