Wahrheit selbstgemacht

aus-der-zwischenablage-2Was wir von William James über den (Un)sinn von Fehlervermeidung, die Angst vor Disruption sowie den Glauben an eine bessere Zukunft lernen können.

Wann haben Sie das letzte Mal versucht, einen Fehler zu vermeiden? Seien Sie jetzt bitte ehrlich zu sich selbst und sagen Sie nicht: ‚Ach, das muss schon ein paar Wochen her sein.‘ Das stimmt garantiert nicht. Wir alle versuchen ständig Fehler zu vermeiden. Und weil man bei solchen Dingen immer mit sich selbst anfangen soll, bekenne ich aufrichtig: Vielleicht bin ich der schlimmste Fehlervermeider von allen! Immerhin habe ich eigens ein Fach studiert, das die Vermeidung von Irrtümern und Fehlern zum vielleicht wichtigsten Ziel und Inhalt hatte: die Philosophie. Im Studium waren wir nämlich die weitaus meiste Zeit damit beschäftigt, uns gegenseitig auf die Finger zu hauen, wenn wir den Eindruck hatten, dass jemand gerade einen Denkfehler begangen habe. Und sei es auch nur ein unbedeutender. Und deshalb kamen wir eigentlich nie zu jenem laut Karl Marx emminent wichtigen Umschlagspunkt, an dem man aufhört die Welt nur zu interpretieren. Wir hatten viel zu viel Angst, wir könnten, würden wir erst einmal anfangen zu handeln, schwere Fehler begehen.

Aber auch die vielen Davongekommenen von Ihnen, werte Leserinnen und Leser, die sich nicht durch ein ganzes Irrtumsvermeidungsstudium von vorne bis hinten und nochmal zurück gründlich vom Handeln und Leben abbringen ließen, auch Sie sind garantiert ganz und gar nicht unbeleckt in der Disziplin der Fehlervermeidung. Oh nein! Denn das ist eine viel zu beliebte Tugend. Fangen wir mal ganz oben an: Unsere Bundeskanzlerin schätzt sie über alles. Und war damit zumindest bisher nicht unerfolgreich. Die allermeisten Manager von Großkonzernen sind geradezu verliebt in die Zauberkraft der Fehlervermeidung. Nur bei VW hatten sie wohl vorübergehend einen folgenschweren Blackout. Aber sonst? Je größer und komplexer (!) ein System ist, dessen Existenz man schützen und bewahren will, desto mehr wird man geneigt sein, zum hemmungslosen Adepten der Fehlervermeiderei zu werden. Und auch Sie, geschätzte Leserschaft, haben gewiss einiges zu verlieren. Ihr Leben, zum Beispiel. Deswegen sind Sie vermutlich ziemlich vorsichtig im Straßenverkehr.

Wenn Sie es gut gemacht haben – oder Glück hatten – dann haben Sie aber auch Partner, Freunde, vielleicht Kinder, vermutlich eine berufliche Karriere und einen Job oder sogar ein eigenes Unternehmen zu verlieren. Da heißt es doch aufgepasst – Obacht vor dem Fehler! Vor dem Fehler, der vielleicht alles oder vieles von dem zerstören könnte. Und auch vor dem Fehler, der vielleicht nur den Grundstein zu dessen Zerstörung legt, ohne dass wir es wirklich merken, bevor wir ihn begehen. Ja, aufgepasst meine Damen und Herren: Es droht ständig und überall DIS-RUP-TION! Ich höre schon die entsetzten Angstschreie angesichts einer solchen Bedrohung. Mit „Shun error!“ würde William James sie wohl übersetzen, der Autor, um den es diesmal gehen soll. Und damit sind wir schon mittendrin in seiner furiosen Kritik der Fehlervermeiderei, die er unter dem etwas missverständlichen Titel „The Will to believe“ vor über 100 Jahren veröffentlicht hat.

Nun gut. Schnallen Sie sich an, behalten Sie Ihren Fahrradhelm und Ihre Hausratversicherung. Achten Sie ruhig weiterhin ein wenig darauf, was Sie in der Öffentlichkeit so sagen oder wenn eine Polizeistreife sie an den Straßenrand winkt. Es geht nicht um diese kleinen, ziemlich vernünftigen Bemühungen um Fehlervermeidung, die wir alle den lieben langen Tag unternehmen. Da ist erstmal nichts Schlimmes dran. Aber, sagt William James, dass sich bei vielen aus dieser harmlosen Gewohnheit, aus dem alltäglichen Flirt mit der Fehlervermeidung eine ernsthafte Romaze und schließlich eine zwanghafte Abhängigkeit entwickelt, aus der sich viele auch noch ein ganzes Weltbild zimmern – das ist in der Tat ein Problem!

Warum? Na, das können Sie sich schnell ausrechnen. Weil, wer nur noch mit Fehlervermeidung befasst ist, früher oder später den Blick fürs große Ganze verlieren wird. Vielleicht vergisst er in seiner emsigen Verteidigerhaltung sogar, was und warum er dieses eigentlich so angestrengt vor Fehlern und Fehlentwicklungen schützen will. Und das ist dann wirklich der Anfang vom Ende…

Wahrheit ist kein Lexikoneintrag

Aber fangen wir klein an. „Believe truth! Shun error!“ Das sind, so William James, zwei vollkommen gegensätzliche Lebenseinstellungen. Und hier zeigt sich auch schon die disruptive Qualität seiner Gedanken. Ach ja: William James, für alle, die von ihm noch nicht gehört haben, war übrigens ein amerikanischer Psychologe und Philosoph und gilt als Begründer des sogenannten Pragmatismus. Seine Ideen und der Text, um den es heute geht, stammen sämtlich aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. ‚Alter Käse, kalter Kaffee‘ können Sie da natürlich sagen. Sollten sie aber lieber nicht – sonst begehen Sie vielleicht einen folgenschweren Fehler!

Ja, ja. Wusste ich, doch, dass diese Drohung auch bei Ihnen verfängt! Also weiter im Text. Warum soll der Glaube an die Wahrheit bzw. an ein wahres Faktum oder einen erwiesenen Zusammenhang etwas anderes sein, als der Versuch, Fehler zu vermeiden? Sind das nicht zwei Seiten einer Medaille? Weit gefehlt, sagt James. Denn mit der Wahrheit ist das so eine Sache. Man kann natürlich davon ausgehen, es handele sich dabei um eine Art Lexikoneintrag. Denken Sie jetzt bitte nicht an Wikipedia, das passt wirklich nicht. Lieber Brockhaus. Ein Eintrag also, in einem Lexikon, der von klugen Experten auf jedem Themengebiet erstellt und vielleicht alle paar Jahre oder auch nur Jahrzehnte um ein paar Fußnoten ergänzt wird, um nicht den Anschluss zur Forschung zu verlieren. Im Eintrag stehen dann so Sachen wie: „Die Erde ist rund, dreht sich um die Sonne und braucht dafür ziemlich genau 365 Tage. Die Erdachse ist geneigt, was der Hauptgrund für das Auftreten von Jahreszeiten ist.“

Gelegentlich müssen dann Dinge ergänzt werden wie: „Die Erde hat auch zwei Magnetpole, die nicht notwendigerweise mit der Lage des geographischen Nord- bzw. Südpols identisch sind. Die Polung kann sich auch umkehren.“ Aber das stört eigentlich gar nicht weiter, sondern komplettiert nur unser Bild von der runden Erde, die um die Sonne kreist. Wenn Wahrheit so aussieht, dann ist sie die beste Freundin der Fehlervermeidung. Denn je mehr wir über sie lernen, desto weniger Fehler werden wir machen. Da kann man dann die Seereise nach Indien beruhigt antreten, weil man keine Angst haben muss, vom Rand der Erdscheibe hinunterzustürzen. Aber die Auskünfte des Kompass sollte man zumindest mit einer gesunden Skepsis betrachten und wenn möglich besser noch ein paar GPS-Daten zu deren Feinkorrektur heranziehen.

Genauso denken die größten Fehlervermeider. Es sind diese dauerrationalen, superabgeklärten Typen. Sie sagen: ‚Der gegenwärtige und zukünftige Zustand der Welt ist mir im Wesentlichen bekannt. Wenn ich x tue, wird y passieren, oder vielleicht z. Aber b wird nur eintreten, wenn ich a sage, und weil ich das auf keinen Fall will, lasse ich das lieber sein.‘ („Shun error!“). Und so verschieben sie ihr Vermögen in sichere Anlageobjekte, lassen sich von Experten sagen, welche Zusatzversicherungen ihrer Gesundheitsversorgung zu Gute kommen und welche nicht, trinken mäßig, um auf Parties nicht negativ aufzufallen, sondern im richtigen Moment die richtigen Kontakte zu knüpfen, machen Karriere bevor sie Kinder kriegen…

…und verpassen die größten Chancen. Sagt jedenfalls William James. Warum? Weil Ihre Wahrheit ein kümmerlicher Abklatsch, ein lebloser, ausgetrockneter Abdruck von dem ist, was sie eigentlich sein sollte.

The state of things is evidently far from simple; and pure insight and logic, whatever they might do ideally, are not the only things that really do produce our creeds. (S. 95)

Wahrheit bzw. das was wir für sie halten, sagt James, entsteht manchmal erst durch unser Handeln. Sie ist, längst nicht immer aber doch häufig genug, veränderlich. Manchmal ähnelt sie weit mehr einem Wikipedia-Artikel über mich selbst, der sich früher oder später ändert, wenn ich beginne, mein Verhalten zu ändern. Vielleicht kam ja diese Erkenntnis für eine Zeit, in der man alles allgemein für wahr befundene noch in dicke Folianten schrieb und für die nächsten paar Jahrzehnt im Schrank verwahrte, einfach zu früh. Jetzt aber, da eine der wichtigsten Referenzen für Wahrheit ein digitale Enzyklopädie geworden ist, die täglich ihren Inhalt ändert, sind wir vielleicht langsam bereit, diesen Zusammenhang zu begreifen. Versuchen wir es!

Die Zukunft kennt keine verlässliche Datenbasis

Das große Problem mit der Wahrheit ist:

No concrete test of what is really true has ever been agreed upon. […] The much lauded objective evidence is never triumphantly there. (S. 98)

Es gibt kein eindeutiges Kriterium zu ihrer sicheren Bestimmung. Natürlich gibt es sie dennoch – und zwar zu Hauf -, die relativ bis sehr einfachen Fälle. Ob es gerade regnet, lässt sich durch einen Blick aus dem Fenster oder einen Schritt aus der Haustür meist sehr gut überprüfen und (nahezu) objektiv nachweisen. Ebenso ob der Rhein bei Düsseldorf zu einem bestimmten Zeitpunkt breiter ist als bei Basel. Es geht William James aber nicht um diese alltäglichen Trivialitäten der Wahrheitsfindung, die nur in erkenntnistheoretischen Seminaren zum Streitfall werden können.

Es geht um ganz andere Fragen. Und zwar um solche, in denen sich über Wahrheit, wenn wir sie dann überhaupt noch so nennen können niemals ex ante, also im Vorraus, sondern immer nur ex post, im Nachhinein entscheiden lässt. Es geht also um all das, was sich zwischen Menschen und in kleineren bis größeren sozialen Systemen abspielt. Und es geht um Zukunft. Um eine Zukunft, die immer auch Resultat unserer Entscheidungen und unseres jetzigen Handelns ist. Wovon aber kann man eine Entscheidung abhängig machen, die Zukunft beeinflusst und vielleicht sogar nachhaltig prägt? Von Wahrheit und objektiver Empirie? Eben nicht, sagt James:

It is as if a man should hesitate indefinitely to ask a certain woman to marry him because he was not sure whether she would prove an angel or a devil after he brought her home. Would he not cut himself off from that particular angel-possibility as decisively as if he went and married some one else? Scepticism, then, is not avoidance of option; it is option of a certain particular kind of risk. (S. 106)

Lassen Sie sich nicht irritieren von dem ziemlich altmodischen und etwas kitschigen Beispiel. Übertragen Sie das Bild gerne auch in einen alltäglichen, emotional etwas weniger aufreibenden, weil ‚professionellen‘ Kontext: Woher eigentlich kann eine Personalerin wissen, dass der vor ihr sitzende Bewerber mit Ecken und Kanten aber einem spannenden Charakter und faszinierendem Intellekt nicht ein hervoragender neuer Kollege werden könnte? Woher weiß ein Investor im Vorhinein, dass ein grundsätzlich vielversprechendes aber mit manchen Risiken behaftetes Startup zum Erfolg führen wird? Richtig: Gar nicht! Es gibt in diesen Fällen keine Möglichkeit, einen Fehler mit Sicherheit zu vermeiden, indem man sich an ‚wahren Fakten‘ orientiert. Es gibt nur zwei gleichermaßen unsichere Alternativen.

Die spießige („Shun error!“) lautet: So talentiert der Bewerber auch sein mag, sein Lebenslauf und seine meßbar vorhandenen Kompetenzen reichen einfach nicht aus, um ihn gegenüber vielleicht langweiligeren, aber dafür solider aufgestellteren Konkurrenten zu bevorzugen. So reizvoll die Pläne des Startups auch klingen mögen, das Verlustrisiko des Investors ist einfach zu hoch. Daumen runter!

Die andere, wie James interessanter Weise sagen würde, pragmatische Herangehensweise („Believe truth!“) müsste freilich lauten: Wenn der Bewerber ausreichend Anlass gibt, an seine Begabung zu glauben, sollte die Entscheidung zu seinen Gunsten ausfallen, weil er zum Erfolg des Unternehmens letztlich weitaus mehr beitragen dürfte als irgendein Langweiler. Und wenn die Gründungsidee des Startups schlüssig wirkt und faszinierend ist, dann muss die Investition getätigt werden. Daumen hoch!

Bauchgefühl schlägt Fehlervermeidung

Wer am Ende Recht behält, das lässt sich natürlich im Vorhinein nicht absehen. Das klingt trivial, aber genau diese Ungewissheit – und nicht irgendeine Wahrheit oder, wie man ja meist bescheidener formuliert, ‚belastbare Datenbasis‘ ist hier die einzige wirklich verlässliche Erkenntnis im Spiel. Es bedarf in solchen Fällen, schreibt James, immer unserer „passional nature“, also des Einflusses von Bauchgefühl, um eine Entscheidung zu treffen. Da ist die Methode „Shun error!“ ihrer Alternative „Believe truth!“ um nichts voraus. Es mag zwar sehr seriös, geschäftsmäßig und bedacht wirken, wenn ein Bewerber wegen mangelnder Qualifikationen oder eine Investition wegen unzureichender Sicherheiten abgelehnt werden – aber vielleicht handelt es sich dabei gerade um den größten Fehler, den einer begehen kann.

Die einzige hier verfügbare Wahrheit lautet: Wir wissen es nicht! Und das ist auch der eigentliche Gewinn dieses schön zu lesenden aber auf den ersten Blick vielleicht unspektakulären, über 100 Jahre alten Aufsatzes eines amerikanischen Philosophen: Er führt uns charmant und unwiderleglich vor Augen, was nicht nur vor der Wirklichkeit schlotternde Elfenbeinturm-Theoretiker immer wieder verleugnen: Tagtäglich treffen Menschen Unmengen wichtiger und unwichtiger Entscheidungen, ohne dabei wirklich über eine sichere Entscheidungsbasis zu verfügen. Sie entscheiden die Dinge schlichtweg aus dem Bauch heraus. Ein Bauch allerdings, vor den die meisten von ihnen sie so viele Meta- und Mikrodaten, Prognosen und Verlaufspläne halten, dass dieser dahinter fast nicht mehr sichtbar ist. Und sie denen, die ihnen mit leeren Händen entgegenkommen aber hoffnungsfroh rufen „Believe truth! – Stell den Bewerber ein, wag die Investition!“, entgegenhalten können: Du Spinner, du Leichtgläubiger, du Narr des Risikos.

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Aber wer riskiert hier mehr? Die mit Statistiken und Prognosen geharrnischten Pessimisten? Oder die vertrauensvoll-blauäugigen Optimisten? Die Antwort muss natürlich salomonisch, ja geradezu maliziös ausfallen: Das kommt drauf an! Wir wissen es nicht! Daraus allerdings lässt sich ein durchaus ziemlich eindeutiger Schluss, eine gut brauchbare Empfehlung ziehen: Wann immer es bei einer Entscheidung um mehr geht, als die Aufrechterhaltung des status quo, die Bewahrung und Konservierung des Bestehenden, ist die Methode „Shun error!“ mit großer Vorsicht zu genießen. Auf den ersten Blick mag es zwar gut klingen, möglichst viele Risiken auszuschließen und somit Fehler zu vermeiden. Aber wer weiter kommen will, etwas neues schaffen, ob beruflich, unternehmerisch oder einfach nur im eigenen Leben, tut sich damit keinen Gefallen. „Shun error!“ klingt weder nach einem betörenden Kompliment, das Menschen gewinnen kann, noch nach einem mutigen Schlachtruf, der Kraft gibt zu gemeinsamen Entdeckungen und Eroberungen. Es klingt vielmehr wie der ängstliche Abgesang auf die Zukunft.

Eine mittlerweile verstorbene Großtante von mir hatte für solche Angelegenheiten der Zukunft einen stets sorgenvoll vorgetragenen Lieblingssatz parat: „Was daraus noch werden soll…“ pflegte sie skeptisch zu sagen – und zwischen den Zeilen wurde deutlich: Gewiss nichts Gutes. Warum eigentlich, war man geneigt, ihr entgegenzuhalten. Woher diese Sorge? Meine alleinstehende und kinderlose Großtante, fand ich, hatte in vielerlei Hinsicht weniger zu verlieren, als zu gewinnen, wenn sie einmal etwas gewagt hätte.

William James hätte vielleicht, wie in seinem Aufsatz, den Dichter Fitz James Stephens zitiert, um sie zu überzeugen:

We stand on a mountain pass in the midst of whirling snow and blinding mist, through which we get glimpses now and then of paths which may be deceptive. If we stand still we shall be frozen to death. If we take the wrong road we shall be dashed to pieces. We do not certainly know whether there is any right one. What must we do? ‘Be strong and of a good courage.’ Act for the best, hope for the best, and take what comes. . . . If death ends all we cannot meet death better. (S. 109)

Das Leben ist voller Situationen, die Entscheidungen erfordern. Nur sehr wenige der wichtigeren dieser Entscheidungen können auf einer ’sicheren Datenbasis‘ oder mit Hilfe einer ‚verlässlichen Prognose‘ so gefällt werden, dass Fehler mit Sicherheit vermieden werden. Es gibt zwei mögliche Wege damit umzugehen: Die besorgte, um Schadensbegrenzung bemühte Strategie einer – sagen wir nicht Fehlervermeidung, sondern – Fehlerminimierung. Sie mag in nicht wenigen Situationen gerechtfertigt sein. Aber wir sollten nie dahin kommen, diese Handlungsalternative als die einzig vernünftige, verantwortungsvolle, seriöse hinzustellen. Das Gegenteil ist der Fall. In unzähligen Fällen ist es nämlich die gewagte, die mutige, die risikobewusste Entscheidung für eine noch nicht gewusste, aber hoffentlich richtig geahnte Wahrheit, die aus dem Flirt eine erfüllende Partnerschaft, aus dem Vorstellungsgespräch einen nachhaltigen Erfolg für beide Seiten und aus der Investition eine fette Rendite macht. Gelobt sei der Bauch!

Und das übrigens nicht nur deswegen, weil es sich besser anfühlt, die positive, die optimistische Entscheidung zu treffen. Das, woran wir glauben, so James, wird nämlich oft erst war, durch das, was wir aus diesem Glauben tun:

The desire for a certain kind of truth […] brings about that special truth’s existence […] in innumerable cases […]. Who gains promotions, boons, appointments, but the man in whose life they are seen to play the part of live hypotheses, who discounts them, sacrifices other things for their sake before they have come, and takes risks for them in advance? His faith acts on the powers above him as a claim, and creates its own verification. (S. 104)

Auch in Ihrem inneren Hirn- und Seelenkasten, liebe Leserin und lieber Leser, gibt es gewiss irgendwo ein kleines, feines Regal mit Einmachgläsern – und der Aufschrift: Wahrheit, selbstgemacht. Rollen Sie jetzt bitte nicht mit den Augen, sondern schauen Sie doch einmal dort hinein. Oder haben Sie etwa Angst, einen Fehler zu begehen?!

Auch mal richtig tief ins Buch schauen? Für diesen Artikel gelesen:
James, William: The Will to believe. In: James: Essays in Pragmatism, New York 1948. Der Originaltext von 1896 kann z.B. hier kostenfrei eingesehen werden. Unter dem Titel „Der Wille zum Glauben“ gibt es auch eine deutsche Übersetzung, die in unterschiedlichen Ausgaben käuflich erworben oder aus Bibliotheken entliehen werden kann.

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