Alles kann, nichts muss. Was für ein Stuss! Oder doch nicht ganz…Maximilian Probst erklärt in einem ungeheuer gut geschriebenen Buch warum Verbindlichkeit uns heute und morgen richtig gut tun könnte. Und das gilt ganz besonders für die Arbeitswelt.
„Sei so unverbindlich wie der Sonnenschein im April!“ (S. 8)
Dieser Appell ist, sagt Maximilian Probst in seinem Buch Verbindlichkeit, die Verlockung schlechthin der heutigen Zeit an den modernen Menschen, der in einem digital aufgeschäumten Meer der Möglichkeiten fischt. Alles kann, alles geht, aber nichts ist von Dauer. Und auf keinen ist Verlass. Das ist, liebe Leserinnen und Leser, vielleicht auch für nicht wenige von Ihnen ein Lebensgefühl. Und wetten, zumindest manche von Ihnen werden jetzt seufzen, und denken: ‚Ja, und das nervt langsam.‘
Aber bei diesem Thema muss ich aufpassen, dass ich jetzt nicht zu persönlich und menschelnd werde und gänzlich das Thema dieses Blogs aus den Augen verliere: Wir wollen ja über Arbeit reden! Aber das bietet sich durchaus an, beim Thema Verbindlichkeit, ja es drängt sich geradezu auf. Wenn Sie Arbeitnehmer sind, dann werden Sie das kennen: Immer schön flexibel soll man bitte sein. Allzeit verfügbar. Mobil. Und dennoch hochmotiviert. Engagiert. Aber leider, leider, kann die Probezeit im Vertrag – wenn er denn auf ein unbefristetes Anstellungsverhältnis überhaupt hinausläuft – nicht gar so kurz ausfallen. Denn der Arbeitgeber muss sich da noch ein Türchen offen halten. Steckt Sie vielleicht sogar in eines dieser Up-or-Out-Karriere-Programme. Weil er sich nicht sicher ist, ob Sie wirklich die Leistung bringen, die er von Ihnen zu brauchen glaubt.

Weil Verbindlichkeit so ein kniffliges Thema ist: Heute mal vier Punkte.
Aber als Arbeitgeber haben Sie vielleicht auch schon genug von dieser ewigen Unverbindlichkeit Ihrer Beschäftigten. Können die, vor allem wenn sie jung sind, sich auch nur für drei Jahre auf irgendetwas festlegen? Wollen die eigentlich Wurzeln schlagen, oder sind die schon morgen wieder auf dem Sprung? Und wenn Sie Freiberufler oder Soloselbstständiger sind…oh! Ganz finster. Schweigen wir lieber von der Verbindlichkeit. Wir wollten hier doch noch nett zusammensitzen und plaudern. Aber über dieses Thema?
Verbindlichkeit: Kein bisschen retro
Hm. Bei näherer Betrachtung merke ich: Doch nicht so leicht mit der Verbindlichkeit und der Arbeit. Machen wir es vielleicht wie die moderne Führungskraft. Wir nähern uns lateral, also von der Seite an. Das ist ein wenig subtiler, und dann tun die unbequemen Wahrheiten weniger weh. ‚He, Kollegen, lasst uns mal unsere Kommunikation über Absprachen optimieren…‘ klingt einfach netter als: ‚Könnt ihr nicht einmal eine Verabredung einhalten?!‘ Ist auch irgendwie gewaltfreier. Und Verbindlichkeit riecht ja immer so nach Zwang. Bäh, dieser modrige Geruch aus dem letzten Jahrhundert, als es noch keine elektronischen Job- und Partnerbörsen und Mobiltelefone zum Termine jederzeit spontan absagen gab: Sorry, total verpeilt, vielleicht ein andermal!
Aber Moment mal. Das ist ja gerade das Tolle an Probsts Buch, dass es so gar keinen modrigen Geruch ausstrahlt. Es hat so gar nichts von diesem 50er-Jahre-Retromief, der seit einigen Jahren auf dem aufsteigenden Ast ist. Sonst hätte ich das Buch auch gleich wieder weggelegt, denn ich kann diese Wir-brauchen-wieder-Werte-Diskurse nicht mehr hören, die immer dreist übersehen, dass wir trotz allem noch (bzw. schon!) im 21. Jahrhundert leben und auch seinen Bedingungen unterliegen. Manche von denen kann man zwar ändern, aber nicht alle gleichzeitig. Und vielleicht will man das auch gar nicht. In der Arbeitswelt heißen diese Bedingungen, Sie kennen das, zum Beispiel Internationalisierung, Digitalisierung, lebenslanges Lernen, vermehrte Notwendigkeit von häufigen Job- und Funktionswechseln, lernen oder gefressen werden (Disruption) usw. usf.
Das kann und das will man doch gar nicht alles auf einmal rückgängig machen. Außer vielleicht der große blonde Mann, der vor Kurzem in dieses wirklich schicke, große Haus in Washington mit der hellen Fassade eingezogen ist…naja. Sparen wir uns das lieber. Ich sage Ihnen stattdessen mal, warum ich das für eine wahnsinnig gute Idee halte, über Verbindlichkeit zu reden, nicht zuletzt wegen ‚Populisten‘. Aber eben auch und gerade unter den heutigen Bedingungen der Arbeitswelt. Jedenfalls dann, wenn man es so macht wie Maximilian Probst. Der hat Ihnen über Verbindlichkeit nämlich ein paar Dinge zu sagen, die Sie so vielleicht nicht erwartet hätten. Also: Was Sie über Verbindlichkeit schon immer wissen wollten, aber sich nie zu fragen getraut haben:
- Verbindlichkeit ist keine Treue. Verbindlichkeit ist nicht totalitär.
- Verbindlich ist man nicht aus Gewohnheit oder purem Konservatismus. Verbindlich ist man aus freiem Entschluss.
- Verbindlichkeit hat eine Menge mit Liebe zu tun. Und mit Vertrauen. Aber: Siehe Punkt 1!
- Verbindlichkeit ist nicht altmodisch. Verbindlichkeit ist sogar so modern, dass sie heute nur von einer Avantgarde gelebt wird.
Das ist eine Menge Material, und um das Einzuordnen brauchen wir jetzt ersteinmal ein kleines bisschen Geschichte. Sonst blickt da ja keiner mehr durch. Früher (gibt es das heute auch noch?) gab es im Fernsehen doch immer zu Beginn der nächsten Folge eines Mehrteilers diese hübschen Zusammenfassungen mit reichlich musikalischer Untermalung, um die Dramatik zu steigern und den Zuschauer wieder in die Mitte des Geschehens zu versetzen ‚Was bisher geschah…‘
Eine kurze Geschichte der Verbindlichkeit
Das war eigentlich eine feine Art, Orientierung zu schaffen, und so wollen wir es hier auch halten. Tja, was geschah denn bisher? Nun, die Industrialisierung machte sich breit und sorgte nach einigen Querelen für eine große Erleichterung: Nach dem Verlust der manchmal etwas unabarmherzigen aber doch irgendwie kuscheligen mittelalterlichen Ständegesellschaft gab es endlich wieder so etwas wie Verlässlichkeit. Jedenfalls spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst einen Arbeitsplatz und dann für viele ein Haus, ein Auto und für nicht wenige auch ein Boot. Von Frau und Kindern – entschuldigen Sie bitte den patriarchalen Fokus, aber so war das damals ja noch – ganz zu schweigen. Die hatte man(n) sowieso.
Können Sie sich überhaupt noch vorstellen, wie schön das damals gewesen sein muss? Also, Maximilian Probst – von Beruf übrigens Journalist und Übersetzer, mit humanistischer Bildung versehen, wie ich bisher zu erwähnen vergaß – der kann:
Die Fabrik wurde für große Teile der Gesellschaft zur neuen Kirche. Sie bot dem transzendental obdachlos gewordenen Menschen eine neue Gemeinschaft, die Arbeiterschaft, und eine neue lebenslange Gewissheit, die Festanstellung, mit anschließenden Pensionszahlungen, bis in den Tod. Das Kreuz, zu dem diese Gesellschaft betete, was das von Henry Ford eingeführte Fließband der Massenproduktion. In einem arbeitsteiligen Produktionsgang, der Massen von Arbeitern erforderte, sorgte das Fließband für standardisierte Güter. Wer diese Güter kaufte, begab sich in die Gemeinschaft derer, die auf genau dieselbe Weise konsumierten. (S. 89f)
Jetzt mal ohne Scheiß: Das sind Verhältnisse, zu denen sich heute sehr viele zurücksehnen. Und wissen Sie was? An manchen Tagen, wenn gerade mal wieder ein Projekt geplatzt ist, keiner anruft und ich über meinen Kontostand meditiere, mir daneben und darüber hinaus die Frage stellend, wozu jemand und etwas gut sein sollen, nach denen niemand im Sinne eines schon vorhandenen, unhinterfragten ökonomischen und gesellschaftlichen Bedarfs dringlich fragt, kommt mir das auch, jedenfalls ganz kurz mal, ziemlich paradiesisch vor.
Moderne Freiheit schafft Beliebigkeit
Aber dann ist da der verführerische Duft der Freiheit, von dem zwar wir Freiberufler und Projektritter vielleicht eine Überdosis geschnüffelt haben, dessen Verführungskraft, wenn wir mal ehrlich sind, aber längst fast alle von uns modernen Zeitgenossen erlegen sind. Die Industriegesellschaft auf ihrem Höhepunkt, die bedeutete ja nämlich auch Zwang. Und zwar nicht zu knapp. Berufe wurden längst nicht immer gewählt, sondern von Eltern oder vom lokalen Bedarf diktiert. Die Familie zu Hause war keine Option, sondern gehörte zum guten Ton, um es mal zurückhaltend zu formulieren. Wer aus dem vorgeprägten Einerlei von Schul- und Berufsbildung (für wenige nur gehörte ja auch ein Studium zum Leben dazu) ausscheren wollte, wer etwas gegen die üblichen Formen der Partnerschaft, des Lebensstils, der Berufsbiographie hatte, für den gab es weniger Optionen als Schimpfwörter: Junggeselle, Gammler, Sonderling und Bastelbiographie sind da noch eher harmlose Ausdrücke. Den Rest können Sie, wenn Sie schon zu den Älteren gehören, mir gerne mal bei einem Glas Wein erzählen. Da kann ich bestimmt noch was dazulernen.
So ist das nämlich. Heute sind wir in vielerlei Hinsicht durchaus freier. Sicherlich noch lange nicht so frei, wie wir sein könnten. Aber immerhin frei von ziemlich vielen Zwängen und…ja, auch Verbindlichkeiten! Aber die entscheidende Frage ist eben: Was sind das für Verbindlichkeiten? Sind es solche, die wir gerne eingehen, oder eher nicht? Fest steht jedenfalls:
Die Arbeitsgesellschaft honoriert den Bindungslosen. Wer eine verbindliche Beziehung eingeht, pfeift auf seine Optionen, im Arbeits- wie im Beziehungsleben […]. (S. 115)
Jetzt sind wir langsam in der Gegenwart angekommen, in jener Gegenwart, in der uns ein Arbeitgeber ungestraft zurufen kann: ‚Verlass‘ Frau und Kinder! Bzw. schaff‘ Dir erst gar keine an! Brauchst Du nicht. Sicher nicht zum Geld verdienen, aber auch nicht zum Glück.‘ Beziehungsweise, wenn wir weiblich sind: ‚Kinderkriegen kannst Du auch noch später (oder auch gar nicht). Mach‘ erstmal Karriere. Am Besten bei uns. Vielleicht behalten wir Dich dann auch. Vielleicht auch nicht. Vielleicht willst Du ja gar nicht bei uns bleiben. Uns doch schnuppe.‘
Heute, so scheint es, muss keiner mehr irgendwas. Außer Geld verdienen. Was eigentlich so auch nicht stimmt, aber die Drohkulissen unserer stacheligen Sozialfürsorgesysteme und der allgemeine Hang zu einem übertriebenen Konsum vermitteln überzeugend diesen Eindruck. Wenn man jedenfalls diese Überzeugung in ausreichendem Maße verinnerlicht hat, dann kommt man auf dem Arbeitsmarkt recht gut an. Die Unternehmen haben es vorgemacht: Warum in Deutschland produzieren, wenn ich auch in China, Vietnam oder Timbuktu zweitklassige Ware zu weitaus geringeren Kosten herstellen kann?
Wir machen es nach: Warum im lokalen Umkreis nach Arbeit suchen, wenn es tausend Kilometer weiter besser bezahlte Arbeit gibt? Warum die lästige Fernbeziehung nicht einfach beenden, wenn Tinder (für Libertäre) oder Parship (für Konservative) ständig neue Alternativen in Wohnortnähe bieten? Wären da nicht diese Aha-Erlebnisse. Wahrscheinlich begannen sie bei den kleinen KMUs, irgendwo in der Provinz. Die sich nicht so eine teure total sexy employer branding Kampagne leisten können. Und plötzlich merken: Die ziehen alle weg. Mist. Vielleicht schlagen sich solche Aha-Erlebnisse aber auch schon lange in der Krankenstatistik nieder. Psychische Erkrankungen sollen ja sehr im Kommen sein, nicht wahr. Man hat dafür heute ganz technisch und neumodisch klingende Diagnosen. Aber vielleicht wären manche auch mit Heimweh, Liebeskummer, unerfüllter Kinderwunsch sehr schnell erklärt. Aber das wären unangenehme Begriffe, ganz klar.
Und die haben auch keine Lobby, wie jene, die immerhin den Fachkräftemangel als Problem groß gemacht und auch ein wenig künstlich aufgeblasen hat. Überhaupt sollten wir postmodernen, bindungslosen Menschen uns vielleicht mal zusammensetzen, egal ob wir primär als Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder einfach nur Privatleute durch die Welt stiefeln. Vielleicht wäre irgendeine Lobby dafür gar kein schlechter Ort. Und dort könnten wir einfach mal neu und ganz anders – und gerne sehr frei – darüber diskutieren, was Verbindlichkeit und Verlässlichkeit heute für uns heißen könnte.
Verbindlichkeit heißt: Etwas wagen!
Zum Beispiel mit dem Buch von Maximilian Probst als Diskussionsgrundlage. Der wird nämlich nicht müde zu erläutern: Mehr Verbindlichkeit im 21. Jahrhundert muss nun wirklich nicht heißen Tarifverträge, Schutzzölle, Compliance, Kontrollwahn, Renaissance der Planung und Ende der Agilität, unkündbare Mitarbeiter, Germany first oder ähnlicher Käse. Manches davon war irgendwann mal gut und teuer, anderes nie. Nichts davon ist die Zukunft und Herr Probst will uns zu solcher Verbindlichkeit auf Krampf auch in keinem anderen Lebensbereich verurteilen.
Ganz im Gegenteil: Er fordert uns auf, mehr zu wagen. Auch und gerade in Dingen der Verbindlichkeit:
Aber die Verbindlichkeit führt auch in andere Situationen: Sie ist das große Abenteuer schlechthin. Ohne Ruder: So müssen wir in der Ehe, mit den Kindern auch dem Sturm entgegensehen. Wir müssen da durch! […] Weil das Abenteuer der Verbindlichkeit, wie jedes wahre Abenteuer, etwas ist, das wir erleiden. (S. 149)
Verbindlichkeit ist eben kein Zwang und keine Verpflichtung, die uns von anderen auferlegt wird. Verbindlichkeit ist der freie Entschluss eines Menschen, sich inmitten der postmodernen Beliebigkeit und einer Marktwirtschaft voller Optionen für etwas oder jemanden eindeutig zu entscheiden. Aber auch nicht als Treueschwur oder Gelübde. Sondern als fehlbarer Mensch, für fehlbare Menschen:
Dem eigenen Gesetz zu folgen, ist grundsätzlich anspruchsvoller, als ein fremdes zu erfüllen. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge sehen. Das souveräne Individuum ist das fehlbare Individuum. (S. 216)
Deshalb, sagt Probst, muss, wer Verbindlichkeit erwartet, auch vergeben können. Also alles doch nicht so gemeint? Doch, doch, durchaus. Aber es geht eben nicht um die rechtliche Absicherung von Fälligkeiten und zuerkanntem Bedarf. Es geht nicht um Fußangeln. Es geht um Menschlichkeit. Wollen Sie Beispiele? Können Sie haben:
Verbindlich ist der Arbeitgeber, der seine Angestellten unterstüzt und nicht an der Karriere hindert, wenn sie Kinder haben wollen. Weil er zu ihnen steht.
Verbindlich ist der Arbeitnehmer, der nicht wegen € 100,- mehr im Monat, einer fancy Firmenlobby und der cooleren urbanen Atmosphäre den Mittelständler verlässt, bei dem er groß geworden ist.
Verbindlich ist die Firma, die ihren langjährigen Zulieferer aus Tschechien nicht wegen ein paar Cent pro Artikel für einen neuen Geschäftspartner aus Bangladesh sitzen lässt.
Verbindlich ist der langjährige Kunde, der beim Schustermeister um die Ecke 22,40 für seine neuen Absätze bezahlt, auch wenn er die woanders mittlerweile für die Hälfte haben könnte.
Warum Menschen so handeln sollten, fragen Sie? Weil zu viel Beliebigkeit und Unverbindlichkeit irgendwann auch demjenigen schaden können, der sie anderen zumutet. Fachkräftemangel, Karriereknick, Qualitätsmängel, Ende des guten Handwerks könnten in den genannten Beispielen (in eben dieser Reihenfolge) die Unbillen sein, mit dem das Schicksal früher oder später den unverbindlich Handelnden (zurück)schlagen wird.
Klar ist aber eines: Verbindlichkeit hat sehr viel mit Vertrauen zu tun. Das macht auch Maximilian Probst deutlich.
Und weil wir das Ende nicht kennen, muss die Verbindlichkeit von der Hoffnung, dem Vertrauen und dem Glauben leben. Es wird gut gewesen sein, lautet das Glaubensbekenntnis der Verbindlichkeit. (S. 20)
Oh je, können Sie da jetzt sagen. Aber vielleicht lesen Sie erstmal hier nach, wie wichtig Vertrauen heute schon, auch und gerade im Arbeits- und Wirtschaftsleben ist. Aber zugegeben, es kommt noch dicker: Verbindlichkeit hat auch viel mit Liebe zu tun. Maximilian Probst verwendet bald die Hälfte des Buches darauf, uns von der Liebe zu seiner Frau zu erzählen. Aber wissen Sie, was das Spannende und übrigens auch überaus Sympathische dabei ist? Diese Liebe ist gar keine tugendhafte Selbstverständlichkeit, zu der man sich entweder pflichtschuldig bekennen oder von der man sich schulterzuckend abwenden müsste, weil das klappt ja sowieso nicht, nicht im Privaten und schon gar nicht im Beruf.
Nein, nein. Wer mit und um der Verbindlichkeit willen liebt, sagt Probst, kann auch mal einen Fehler machen. Er muss es nur merken. Und den anderen um Vergebung bitten.
Und spätestens an diesem Punkt merkt man: Das ist nicht spießig. Das ist kein bisschen letztes Jahrhundert. Das ist Avantgarde. Heiraten und doch nicht versprechen, dass es mit der Liebe garantiert und niemals nicht zu Ende geht. Sich für einen Arbeitsplatz entscheiden und dennoch irgendwann sagen können: Jetzt passt es nicht mehr. Sich über Jahrzehnte konstant und uneigennützig für seine Mitarbeiter einsetzen aber vielleicht nie einen unbefristeten Vertrag aufsetzen (können). Halbherzig? Heuchlerisch? Wenn man es nicht wirklich ernst meint, wenn man in Wahrheit unverbindlich bleibt: Ja. Verbindlichkeit ist immer eine Entscheidung, schreibt Maximilian Probst. Und zwar eine, die nicht auf kalter Berechnung beruht. Das macht sie ja gerade so wertvoll.
Verbindlichkeit ist kein Muss. Wir müssen sie wollen!
Wenn Ihnen das aber ein zu poetisches Ende ist, dann können Sie es auch gerne ganz prosaisch und pragmatisch haben: Wenn Sie mich fragen, bestehen gute Chancen, dass Verbindlichkeit zu einem der ganz großen Megatrends dieses Jahrhunderts wird. Wahrscheinlich aber kommt es dabei vor allem auf eines an: Wir müssen es wollen.
Und irgendwie beißt sich da die Katze – oder Wahlweise der Oldwork-Kater – in den Schwanz. Unermüdlich mache ich hier auf diesem Blog Werbung für andere, für neue, für menschlichere Zugänge zum Thema Arbeiten und Wirtschaften. Aber das alles sind überhaupt keine Notwendigkeiten. Es sind keine Tsunamis, die über uns hereinbrechen, die uns nur noch die Wahl lassen, auf der Welle mitzuschwimmen oder unterzugehen. Bei Licht betrachtet ist das nicht einmal die angemesene Beschreibung für Prozesse des Strukturwandels, wie zum Beispiel die Digitalisierung, als technische Entwicklung betrachtet, einer ist.
Würden wir uns für mehr Verbindlichkeit entscheiden, wäre das allerdings eindeutig ein Kulturwandel. Und in einer Welt, in der niemand mehr etwas muss, muss das schon gar nicht. Und deshalb schlage ich Ihnen etwas anderes vor: Kaufen Sie sich das Buch von Herrn Probst. Lesen Sie mal hinein. Und vielleicht werden Sie wie ich beglückt sein. Von diesem Sachbuch, das besser unterhält, als die meisten Kriminalromane. Von einer philosophischen Abhandlung die ungeheuer lebensnah und persönlich ist. Von einem so leicht und humorvoll geschriebenen Essay (sowas gibt es sonst nur in Frankreich!), das man in manchen Passagen eindeutig erotisch nennen muss. Ha! Jetzt habe ich Sie. Sex sells. Und Verführung wirkt. Denn wenn Sie diesen umwerfenden Eros der Verbindlichkeit ersteinmal gewittert haben, werden Sie mehr wollen davon. Hand drauf?
Auch mal richtig tief ins Buch schauen? Für diesen Artikel gelesen:
Probst, Maximilian: Verbindlichkeit, Rowohlt, Hamburg 2017