Ein Dialog mit Daniela Röcker von priomy
Liebe Dani, mit Andreas Zeuch habe ich im ersten Teil unseres Gesprächs über die Priomy-(Un)konferenz „Neue Konzepte für Neue Arbeit – Die Angst vor der Freiheit“, die ja auch du mit planst, organisierst und gestaltest schon einige inhaltliche Punkte angeschnitten. Was wir nur am Rande berührt haben war die Kunst, zu der, wie ich hoffe, du mir wegen deines Hintergrundes mehr erzählen kannst. (Dani arbeitet nicht nur für priomy, sondern bildet gemeinsam mit ihrem Mann Stefan Röcker die Kultur-Komplizen, die mit Hilfe künstlerischer Ansätze Unternehmenskulturen weiterentwickeln.)
Andreas Schiel: Künstlerisches Schaffen sei quasi der Inbegriff selbstbestimmten Arbeitens, hat Andreas mal so nebenbei fallengelassen. Und deshalb gehe es bei der Konferenz auch um Kunst, obwohl wir auf ein Streichquartett – das hätte mir durchaus gut gefallen, muss ich sagen – verzichten werden müssen. Welchen Beitrag soll denn die Kunst bei der Konferenz liefern und hilft Kunst vielleicht auch gegen die Angst vor der Freiheit?
Daniela Röcker: Ein uneingeschränktes “Ja” kann ich da nur sagen – Die Kunst hilft definitiv gegen eine wie auch immer geartete Angst vor der Freiheit. Andreas hat ein gutes Stichwort genannt und zwar das “künstlerische Schaffen”. Du hast sicher schon Konferenzen oder ähnliche Veranstaltungen besucht, bei denen am Schluss oder im Mittelteil eine künstlerische Darbietung stattfand, richtig? Was hat sich der Veranstalter wohl dabei gedacht? Im allgemeinen wird in so einem Rahmen Kunst als Dekoration, als Add-on, um es neudeutsch zu formulieren, inszeniert. Das kann man machen, reduziert die Kunst jedoch unglaublich stark auf etwas rein Statisches. Eine Aktion, geschweige denn Interaktion zwischen Bühne und Publikum findet gar nicht statt. Die künstlerische Darbietung in so einem Rahmen macht das Gleiche wie die anderen Punkte auf der Konferenzagenda – das Publikum bleibt im reinen Konsummodus. Unsere (Un-)Konferenz ist stark auf Partizipation angelegt, d.h. es wäre völlig unsinnig, Kunst hier als Konsumprodukt anzubieten. “Unsere” Kunst stupst die Teilnehmer*innen an und bewegt sie zum Denken und Handeln, also zum künstlerischen Schaffen.

Die transsektorale (Un)konferenz „Neue Konzepte für Neue Arbeit“, veranstaltet von priomy, wird bestimmt nicht langweilig. Auch der Autor dieses Blogs wird im Rahmen seines Projekts denkzentrum|demokratie mit einem Workshop dort vertreten sein.
Andreas Schiel: Klingt vielversprechend. Verrätst Du noch ein bisschen mehr darüber, wie das funktionieren soll?
Daniela Röcker: Ja, gerne. Künstlerisches Schaffen ist ja nicht nur das Werk, das man sieht, also im allgemeinen Verständnis das Bild, die Skulptur, das Musikstück etc.. Künstlerisches Schaffen ist auch und vor allem ein Prozess, der durch Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Reflexion bei mir selbst als Künstlerin angestoßen wird. Daraus entsteht etwas, das zunächst einmal ich selbst betrachten kann. Erst wenn ich das Werk öffentlich mache, folgt dann die Rezeption durch andere.
D.h. wenn ich Kunst schaffe, bin ich in einem permanenten Dialog aus Wahrnehmung, Ausdruck und Rezeption. Nimm als Beispiel die bildende Kunst und da z.B. eine Zeichnung. Damit kommuniziere ich ohne unser sprachliches Zeichensystem. Ich mache sichtbar, was sich in meinem Kopf an Gedanken, Fragen, Eindrücken angesammelt hat. Auf das ich keine Antwort habe und wofür es auch vielleicht noch keine Worte gibt, weil noch niemand das in Buchstaben formuliert hat. Ich gebe meinen Gedanken und Bildern eine Form.
Diese Form ermöglicht es nun, mit anderen darüber in Austausch zu kommen. Das kann still und indirekt geschehen wie beim Betrachten von Kunst im Museum, aber es kann auch ganz direkt sein im öffentlichen Raum, auf der Straße, in einer Aktion, in der ich direkt mit Rezipienten in Kontakt trete. So wird die Kunst auch körperlich stärker erfahrbarer als beim reinen Betrachten. Es werden mehr Sinne angesprochen und Partizipation ist möglich. Das wiederum kann das eigene Denken und Handeln anregen.
Das Schöne daran ist, diese Kunst brauche ich ganz explizit im New Work Kontext. Ich muss in Austausch über die eigene Wahrnehmung kommen und reflektieren, sonst klappt es nicht mit dem Kulturwandel im Unternehmen. Wenn ich nur stumm betrachte, reproduziere ich eher, was ich eh schon weiß. Meine Gedanken bleiben im Kopf und drehen sich. Aber wir sind ja mit mehr Sinnen als nur dem visuellen System ausgestattet und sollten uns dessen bewusst sein. Wir sind vernetzte Ökosysteme mit unglaublich vielen Rezeptoren.
Genau das ist es, was wir während der (Un-)Konferenz machen werden. An verschiedenen Stationen innerhalb der Location werden die Teilnehmer*innen in der Lage sein, verstärkt wahrzunehmen und in Interaktion mit der Kunst zu treten. Die Stationen selbst sind wiederum mit den Sessions und Workshops verwoben. Die Workshops stehen schon fest, aber die Sessionvorschläge können erst seit 1. März eingereicht werden. Daher steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest, was wir genau machen werden. Das wird sich in den nächsten Wochen ganz flexibel und organisch aus den Vorschlägen entwickeln. Der Rahmen ist also gesetzt und der künstlerische Prozess ist bereits angestoßen.
Andreas Schiel: Vielen Dank für diese Erläuterungen, das klingt spannend und für mich auch schlüssig. Ich glaube auch, wenn das sogenannte New Work einen echten Wandel bedeuten soll, wenn wir wirklich mehr Freiheit in Unternehmen und anderen Organisationen wagen wollen, geht das nicht, indem man bloß ein paar neue Regeln proklamiert, oder Ansprachen hält, nach dem Motto: “Emanzipiert euch, Leute”. Da bin ich gespannt, wie wir mittels Kunst dem Austausch zu solchen Fragen auf der (Un)konferenz mehr Tiefe verleihen können!
Da ich weiß, dass du viel von Joseph Beuys hältst und mit dessen Konzepten auch arbeitest würde mich zum Schluss noch interessieren: Wieviel Beuys fließt denn in die (Un)konferenz ein? Oder gerne auch allgemeiner gefragt: Was können wir denn von Beuys über Prozesse kulturellen, organisationalen und gesellschaftlichen Wandels lernen?

Nicht nur Komplizin der Planer der priomy-(Un)konferenz, sondern auch von Kunst, Kultur und Joseph Beuys: Daniela Röcker
Daniela Röcker: Da die (Un-)Konferenz von meinem Verständnis her eine Soziale Plastik ist, besteht die gesamte Konferenz gedanklich aus Beuys. Bei Beuys geht es um Wandel und Transformation – individuell wie gesellschaftlich. Sehr grob vereinfacht ist die Beuyssche Idee der Sozialen Plastik, die Erkenntnis, dass unser Denken formbar ist, d.h. wir sind jederzeit in der Lage ganz bewusst neu und anders zu denken und uns selbst zu verändern. Dazu muss uns niemand die Hand halten oder Anweisungen erteilen.
Was es dazu ganz basal braucht, ist Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, mit allen Sinnen wahrzunehmen. Das ist gleichzeitig trivial und hochkomplex. Wir sind im Alltag extrem kopflastig unterwegs, unsere Gedanken verdrängen unsere sensible Körperwahrnehmung. Sind wir in unseren Gedanken unterwegs, blenden wir sogar unsere unmittelbare Umgebung aus. Wie kann das sein?
René Descartes erklärte einst die Erkenntnisfähigkeit des Menschen mit seinem inflationär und ich vermute auch oft falsch verwendeten Zitat “Ich denke, also bin ich.” Wenn ich ihn wörtlich nehmen würde, muss ich mich fragen, ob er noch ganz bei Sinnen (sic!) war, als er dies formulierte.
Beuys’ Erkenntnis war wohl die, dass unser Denken nicht nur im Kopf stattfindet, sondern in jeder Zelle unseres Körpers, die wiederum Informationen von jeder weiteren Zelle aus der Umgebung erhält und umgekehrt auch Informationen dorthin liefert. Einer seiner wunderbarsten Sätze lautet: “Ich denke sowieso mit dem Knie.” Er beschreibt unseren Körper als einen Organismus, ein Ökosystem, das wiederum im größeren Ökosystem Erde lebt, leben kann. Dafür brauchen wir ein gleichberechtigtes Verhältnis von Körper und Geist.
Wenn ich nun sage, dass die Konferenz eine Soziale Plastik ist, so meine ich damit, dass wir versuchen, einen Ausgleich von Körper und Geist herzustellen. In den Workshops sind wir z.B. eher denkzentriert, in einer Kunstinstallation eher körperzentriert, weil es z.B. um sinnliche Wahrnehmung geht. Alles ist miteinander verbunden, so dass theoretisch ein fließender Prozess stattfinden kann.
Darüber hinaus sind die Teilnehmenden individuelle Ökosysteme, die sich im räumlichen Ökosystem der Konferenz bewegen. Die Location als Ökosystem ist wiederum Teil von Berlin und Berlin Teil von Deutschland, etc.. Und alles findet auch noch in der Zeit statt, dehnt sich demnach bis in die vierte Dimension aus.
Um von Beuys also lernen zu können, fangen wir klein an und versuchen ganz genau mit allen Sinnen zu beobachten, ins Detail zu gehen und wieder zurück auf das Ganze zu blicken. Und dann Fragen zu stellen, und zwar nach Begriffen, Begebenheiten, Situationen und Konstrukten. Das gilt für gesellschaftliche Transformation ebenso wie für Veränderungen in Organisationen.
Vielleicht hört sich das unspektakulär an, weil wir gerne nach Superlativen verlangen, aber wer sich an das “Band des Orion” aus “Men in Black” erinnert, weiß, dass in einer winzigen Kugel ein ganzes Universum stecken kann.
Am 05.03.18 erschien bereits #SorgenvonMorgen 12 mit dem ersten Teil des Gesprächs über die (Un)konferenz. Diesen Dialog mit Andreas Zeuch kann man hier nachlesen.
Pingback: Warum eigentlich Kunst? | priomy.events·