#SorgenvonMorgen 6: Woran eigentlich denken die HR-Manager von DAX-Konzernen, wenn sie an die Zukunft der Arbeit denken?

Aus der Zwischenablage 2

Ein Dialog mit Stefan Birk vom Institut für Arbeitsdesign und Zukunftstechnologien

Sozusagen von ganz oben kam am 19. April 2016 eine Einschätzung zur Zukunft der Arbeit: Acatech, die deutsche Akademie für Technikwissenschaften und die Jacobs Foundation haben mit Personalvorständen aus DAX-Konzernen und renommierten Wissenschaftlern einen ‘Human-Resources-Kreis’ gebildet und ihre Überlegungen zur Digitalisierung und zur Veränderung der Arbeitswelt als Publikation im Bundeskanzleramt vorgestellt. Das Papier mit dem Titel ‚Die digitale Transformation gestalten‘, weckt also Erwartungen. Nach der Lektüre war ich allerdings etwas enttäuscht – und konnte nicht recht glauben, was ich da an einigen Stellen gelesen (oder nur falsch verstanden?) hatte. Also habe ich Dr. Stefan Birk, Vorstand beim Institut für Arbeitsdesign und Zukunftstechnologien e.V. (ifaz) gefragt, was er davon hält. Stefan Birk beschäftigt sich für das ifaz nicht nur intensiv mit dem Wandel der Arbeitswelt durch neue Technologien und Arbeitsmodelle, sondern hat – im Unterschied zu mir – auch schon längere Zeit in einem DAX-Unternehmen gearbeitet.

 

Andreas Schiel:

Herr Birk, ehrlich gesagt mache ich mir Sorgen, ob ich Deutschlands bestbezahlte HR-Manager verstehe. Das Papier, über das wir uns hier unterhalten wollen, ist von Thomas Sattelberger (der den dafür verantwortlich zeichnenden HR-Kreis auch moderiert hat) via Twitter als “Klartext” und “Muss für jeden Personaler” empfohlen worden. Im Kreis waren u.a. auch die Personalvorstände von SAP und Telekom vertreten, also zweier IT-Konzerne, die als eher fortschrittlich und innovativ gelten, gerade auch in ihrer Personalarbeit. Auch die Akademie der Technikwissenschaften wird von einem früheren SAP-Vorstand geleitet: Henning Kagermann. Und die Jacobs Foundation ist doch immerhin Hauptgesellschafter der als ziemlich progressiv geltenden gleichnamigen Privatuniversität in Bremen. Aber das Papier “Die digitale Transformation gestalten – Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen” kommt jedenfalls mir in vielen Teilen eher altbacken vor. Und das ist schon bemerkenswert, wenn sich so viele Top-Leute zusammensetzen, um ausgerechnet über die Zukunft nachzudenken. Aber vielleicht sehen Sie das nicht ganz so kritisch…

Versuchen wir doch erst einmal eine Bestandsaufnahme in konstruktiver Absicht: Was steht denn aus Ihrer Sicht Wissenswertes und Kluges in diesem Papier über die Zukunft der Arbeit?

 

Stefan Birk:

Also zunächst: Ihre Analyse ist zutreffend. Man hat schon manchmal den Eindruck, dass da irgendwie der “kleinste gemeinsame Nenner” gesucht wurde. Aber der Reihe nach: Sie hatten gefragt, was denn Kluges drinsteht und dann wollen wir gerne damit beginnen.

Ich fand interessant, dass aus diesem Kreis eine Ausgangsthese formuliert wird, die “revolutionärer” nicht sein könnte. Was ich meine, ist die Aussage, dass Arbeit neu definiert werden muss. Das sehe ich auch so. Leider kommt im Anschluss nicht mehr viel, was dieses Statement erklärt oder irgendwie operationalisiert.

Birk_ifaz

Dr. Stefan Birk ist Vorstand beim Institut für Arbeitsdesign und Zukunftstechnologien e.V. (ifaz)

Es finden sich auch Sachen, die ich gerne unterstreichen würde: z.B. die Forderung, dass Mitarbeiter die Fähigkeit zur Selbstreflexion bzw. zum Selbstmanagement entwickeln sollten. Das ist wohl so zu verstehen, dass Mitarbeiter aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten die Fähigkeit besitzen müssen, ihre eigenen Grenzen zu kennen und sich auch in ihrem Job zurücknehmen können müssen. Als ich meine erste Stelle in der Industrie angenommen habe, hätte man diese Fähigkeit noch so verstanden, dass man sich auch um 22.30 Uhr abends noch einmal motivieren können sollte, um der Firma zu dienen. Hier ist sicherlich auch an der Spitze der Organisationen ein Denkprozess in Gang gekommen. Das ist nicht selbstverständlich. Bei den Beteiligten handelt es sich ja um Leute, die alle so sozialisiert wurden wie oben angedeutet.

 

Andreas Schiel:

Von solchen hochgestellten und gutbezahlten Managern erhofft man sich aber natürlich auch, dass sie nicht nur auf der Basis ihrer zurückliegenden professionellen Karriere urteilen, sondern auch als Vordenker agieren. In dem Papier stehen nun aber – im Kontrast zu den von Ihnen genannten Punkten – Dinge, die den Eindruck vermitteln können, von der seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten laufenden Diskussion um eine substanzielle Veränderung der Arbeitswelt hätten die HR-Manager fast nichts mitbekommen. Wenn ich zum Beispiel an das Thema Partizipation denke, das ja im Moment unter ganz unterschiedlichen Begriffen wie Selbstorganisation, Unternehmensdemokratie, mitarbeitergeführte Unternehmen recht intensiv diskutiert wird – und das man ja wohl im Hinblick auf die Zunahme komplexer Wissensarbeit jedenfalls nicht einfach umgehen kann – findet sich da fast nichts. Lediglich einige Bemerkungen zur betrieblichen Mitbestimmung (die Wahl dieses etwas altmodischen, von den Gewerkschaften geprägten Begriffs finde ich auch sehr vielsagend). Und die gehen dann auch noch dahin, dass man im Interesse eines möglichst reibungslosen Transformationsprozesses (Stichwort Digitalisierung) diese Mitbestimmung vorübergehend einschränken könnte.

 

Stefan Birk:

Dass die hochrangigen Personalmanager die betriebliche Mitbestimmung ins Spiel bringen, liegt natürlich an der geltenden Rechtslage in den meisten großen Unternehmen. Und die Errungenschaften in Zusammenhang mit der betrieblichen Mitbestimmung lassen sich ja auch durchaus sehen. Unter anderem renommierte Sozialwissenschaftler wie zum Beispiel Richard Sennett haben die Mitbestimmung im Zusammenhang mit der konstruktiven Bewältigung der Auswirkungen der Finanzkrise in Deutschland immer wieder lobend hervorgehoben.

Aber es stimmt natürlich, die Personalmanager argumentieren sehr defensiv und manchmal weit weg von der aktuellen Diskussion. Beim Thema Führung wird zum Beispiel sehr allgemein davon gesprochen, dass “… das Paradigma von der Führung top-down überholt (ist).” Um dann gleich danach festzustellen: “Es geht in der Regel nicht darum, dass Beschäftigte alles mitbestimmen wollen – sie wollen vor allem mitentscheiden, was direkt vor Ort im eigenen Einflussbereich passiert; über die übergeordnete Strategie wollen sie zumindest informiert sein.” Das klingt schon sehr nach “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!” Etwas bösartiger könnte man auch sagen: Die Mitarbeiter – besonders die fähigen und kreativen – sollen der Firma ihre Unternehmerfähigkeiten und ihren vollen Einsatz zur Verfügung stellen, aber möglichst nicht dabei mitreden, welche Ziele denn verfolgt werden. Ich glaube nicht daran, dass diese Gleichung langfristig aufgeht.

 

Andreas Schiel:

In dem Buch Resonanz des Soziologen Hartmut Rosa, das ich gerade für dieses Blog rezensiert habe, kann man lesen: Die Arbeitnehmer legen es heute vermehrt darauf an, “von einer Sache wirklich berührt und ergriffen zu werden” und sind bereit “sich selbst aufs Spiel zu setzen”, weil sie nur so die kreativen und innovativen Höchstleistungen bringen können, die sie sich selbst erhoffen – und die ja auch von ihnen erwartet werden. Glauben Sie erstens, dass die HR-Manager, die das von uns besprochene Papier verfasst haben, dieses enorme Engagement unzähliger Angestellter auch wahrnehmen und würdigen? Und haben diese Führungskräfte zweitens eine Vorstellung davon, wie sie die für ein solches Engagement nötigen sozialen, emotionalen und intellektuellen Ressourcen für ihre Mitarbeiter bereitstellen können? Denn ich finde, ihre Metapher mit dem Pelz passt ganz gut auch zum grundlegenden Tonfall des Papiers, dessen Appelle man durchaus folgendermaßen deuten könnte: ‘Nun macht mal, Leute, die Zentrale hat entschieden.’

 

Stefan Birk:

Es gibt ein schönes Zitat von einem hochrangigen deutschen Microsoft-Manager: “Früher mussten wir Manager sicherstellen, dass die Leute machen, was wir Ihnen sagen. Heute geht es darum, dass die Leute machen, was wir Ihnen nicht sagen.” Aus meinen persönlichen Praxiserfahrungen heraus kann ich feststellen, dass ohne das ungefragte und auch manchmal nicht angemessen gewürdigte Engagement von mindestens einer kritischen Menge von Mitarbeitern ein Unternehmen heute nicht mehr überlebensfähig ist. Ich glaube auch, dass gerade die HR-Manager das sehr wohl wissen. Ob von Ihnen bzw. dem Unternehmen die Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden, ist eine ganz andere Frage. Nehmen Sie zum Beispiel mal das Thema “Flexibilität”. Hier wird von Mitarbeitern insbesondere auf der Führungsebene heutzutage Flexibilität im Sinne totaler Verfügbarkeit für die Firma erwartet, was mit Hilfe der modernen Medien ja auch wirklich einfach zu bewerkstelligen ist. Auf der anderen Seite tun sich Unternehmen aber schwer, die Flexibilisierung auch zugunsten der Mitarbeiter weiter zu denken. Zum Beispiel wäre ein lebensphasen-orientierter Wechsel zwischen Höchstleistung, Lernphasen und Perioden mit mehr Zeit für die Familie ja ein sehr attraktives Modell für viele Leute. In vielen Fällen ist dieses Modell sogar der einzige Weg die Employability des Mitarbeiters langfristig zu erhalten. Wenn Sie sowas in der Praxis vorschlagen, können Sie sehen wie schnell Gesichter versteinern können. Es besteht also eine echte Asymmetrie bei der Nutzung von Flexibilisierungspotentialen. Mit anderen Worten, man nimmt die für die Firma positiven Effekte der Digitalisierung mit, sperrt sich aber mit Blick auf die Kostensituation gegen alles andere.

 

Andreas Schiel:

Was Sie sagen, würde Alles in Allem darauf hinauslaufen, dass sich hier fachlich durchaus kompetente und, was die grundsätzlich neuen Entwicklungen im Bereich “new work” betrifft, doch zumindest halbwegs dialogbereite Personen auf eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner ihrer jeweiligen Positionen geeinigt haben, wie Sie ja auch anfangs andeuteten. Alles andere wäre ja auch wirklich besorgniserregend. Merkwürdig finde ich allerdings, dass das ausgerechnet für ein Papier passiert ist, das man mit recht großer Öffentlichkeitswirkung im Bundeskanzleramt vorgestellt hat und das, wie es heißt, dazu dienen soll in einen “intensiveren Dialog mit weiteren Stakeholdern der digitalen Transformation aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft [zu] treten und zu einem neuen Verständnis der Arbeit [zu] kommen.” Die Verfasser des Papiers wollen also nicht nur mit Leuten wie Ihnen ins Gespräch kommen, sondern auch mit Menschen, die unter Umständen mit dem, ich nenne das mal ‘Entscheider-Sprech’ der Publikation, noch weniger anfangen können, weil sie aus anderen Kontexten kommen.

Herr Birk, müssen sich hier die Manager der Großkonzerne deshalb nicht weiter bewegen, weil die schönen Ideen von einer neuen Arbeitswelt, die man z.B. auf meinem Blog aber auch auf den Seiten Ihres Instituts lesen kann, letztlich Ausdruck einer Minderheitenposition sind, die mindestens im kommenden Jahrzehnt noch keine Chance auf Verwirklichung in einem größeren Maßstab hat? Oder dürfen wir da optimistischer denken und davon ausgehen, dass durchaus viele hochgestellte Personaler – ich denke da insbesondere an Herrn Sattelberger – mit manchen dieser Ideen und zum Teil ja auch schon sehr erfolgreich erprobten Praktiken sympathisieren, dies aber, warum auch immer, in einem gemeinsamen Papier zur Zukunft der Digitalisierung und der Arbeit nicht deutlicher ausformulieren wollten oder konnten?

 

Stefan Birk:

Ich glaube wir sollten optimistisch denken, aber nicht weil die Personalmanager großer Unternehmen schon einen Masterplan haben, wie man in die “schöne, neue Arbeitswelt” eintritt. Ich glaube, den haben sie nicht. Und wenn doch, sie könnten ihn sicherlich nicht initiieren, geschweige denn umsetzen. Dazu bedürfte es einer viel stärkeren Machtposition für die Funktion HR, welche sie zum heutigen Zeitpunkt mit Sicherheit nicht hat. Mit anderen Worten: Es ist meines Erachtens nicht damit zu rechnen, dass die wesentlichen Innovationen für neue Arbeitsmodelle und die Impulse für eine zeitgemäße Arbeitskultur aus der Sphäre der Großunternehmen kommen. Und aus der Politik würde ich sie schon ganz und gar nicht erwarten. Da tut man sich schon heute schwer, modernere Arbeitsformen sinnvoll in Arbeitsgesetzen abzubilden.

Ich glaube vielmehr, dass die kleinen, mittelständischen Unternehmen und besonders die jungen Unternehmen diejenigen sein werden, die als erste umfassender mit Modellen des “new work” experimentieren werden. Das zeigen schon einige prominente Vorreiter, und das sind nur diejenigen, die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. In meiner Praxis begegne ich immer häufiger ganz überraschenden Beispielen von kleinen Unternehmen oder auch Gruppen von Enthusiasten, die schon viel Erfahrung mit neuen Arbeitsformen gesammelt haben. Ich bin mir sicher, diese Beispiele werden Schule machen, und das wird die großen Unternehmen zwingen nachzuziehen. Wann und insbesondere wie diese großen Tanker dann umlenken, das lässt sich aber heute nicht absehen.

 

Andreas Schiel:

Herr Birk, ich danke Ihnen herzlich für diesen interessanten Dialog, mit dessen Abschluss Sie bei mir einige Sorgenfalten glätten konnten, die sich zwischendurch auf meiner Stirn eingestellt hatten.

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